Risikomanagement für robuste Lieferketten
Global Sourcing beschreibt eine unternehmerische Beschaffungsstrategie, bei der Rohstoffe, Produkte und Dienstleistungen von internationalen Lieferanten bezogen werden. Das senkt Kosten, verbessert die Qualität und hilft beim Erschließen neuer Technologien. „Das funktioniert gut“, weiß Dr. Jens Koenig, Principal Consultant bei io – „solange zuverlässig geliefert werden kann.“ Was dann auch der Knackpunkt ist, denn: shit happens.
Zum Beispiel in Island, 2010: Der Gletschervulkan Eyjafjallajökull bricht aus. Seine Aschewolken legen den Flugverkehr in weiten Teilen Europas für mehrere Tage vollständig lahm. Oder in Ägypten, 2021: Ein Containerschiff läuft im Suezkanal auf Grund, stellt sich schräg und blockiert sechs Tage lang die Schifffahrtsrinne. Nichts geht mehr, in beide Fahrtrichtungen stauen sich hunderte Frachter. Oder in den USA, 2025: Trumps Zollpolitik versetzt die Weltwirtschaft in Aufruhr. Allein in der EU sind Waren im Wert von rund 26 Milliarden Euro betroffen.
Angesichts solcher Ereignisse fragen Unternehmen: Was kann ich tun, wenn Lieferketten gestört werden? Wie bleibe ich lieferfähig? Wie schnell kann ich fehlende Bestände kompensieren? Und wie lange reichen meine Vorräte? „Die letzte Frage zielt unmittelbar auf resiliente Lieferketten im Sinne des Supply Chain Managements ab“, sagt Koenig. „Es geht um die Zeitspanne zwischen dem Ereignis, das die Lieferkette unterbricht, bis zum daraus resultierenden Produktionsstopp. Bekannt ist sie auch als Time-to-Survive.“ Das klingt makaber, ist aber ein Key-Performance-Indicator (KPI), mit dem unternehmerisch operiert wird – wie auch der Global Supply Chain Pressure Index, der Global Peace Index oder der World Risk Index.
„Wenn die Flut einen überrollt hat, ist es zu spät, um etwa neue Lieferanten zu finden“, fährt Koenig fort. „Politische Entwicklungen, rechtliche Stabilität, das Risiko von Naturkatastrophen: All das ist im Risikomanagement bedeutsam und sollte in entsprechenden Maßnahmen Beachtung finden – auch wenn sich zunächst kein konkreter Nutzen abzeichnet und es im Gegenteil nur Geld kostet.“ Gerade bei komplexen Industriezweigen wie der E-Mobilität ist Vorsicht gefragt, weil entsprechende Produzenten auf eine Vielzahl an Zulieferern angewiesen sind.
Im Kern geht es häufig um zwei Stellhebel: Lagerbestand und die Anzahl der Lieferanten pro Vorprodukt. Es empfiehlt sich, bei krisengefährdeten, wichtigen Vorprodukten gezielt Bestände aufzubauen, was sich gegenläufig zum normalen Geschäftsbetrieb verhält – denn Bestand kostet Geld. Vor allem, wenn an die Lagerhaltung besondere Anforderungen gestellt werden (z.B. Brandschutzauflagen bei der Lagerung von bestimmten Batterien). Außerdem machen hohe Lagerbestände an einem Ort im Katastrophenfall anfälliger – was Dezentralisierung ins Rampenlicht rückt, sowohl in der Fertigung als auch in der Intralogistik.
Politische Entwicklungen, rechtliche Stabilität, das Risiko von Naturkatastrophen: All das ist im Risikomanagement bedeutsam und sollte in entsprechenden Maßnahmen Beachtung finden.
Bezüglich passender Lieferanten rät Koenig zu Multisourcing, „vor allem für kritische Teile“. Doch auch da hängen Fragen dran, die individuell zu beantworten sind: Was sind die kritischen Teile und gibt es überhaupt alternative Lieferanten, die mit vertretbarem Aufwand das Risiko verringern? Manchmal lässt sich durch geschickte Umorganisation die Risikoauswirkung reduzieren, etwa durch eine temporäre Änderung der Produktionsschritte. Mitunter kann im Sinne des Risikomanagements auch die Reihenfolge der Produktion oder der Fertigungsgrad temporär geändert werden – eventuell, wie Koenig ergänzt. „Im Falle der E-Autos funktioniert dies mit erheblichen Aufwand, zum Beispiel bei Sitzen. Die kann man in einer Notsituation gegebenenfalls nachrüsten. Nicht aber den Kabelbaum.“ Nicht umsonst existieren gerade für Autohersteller speziell ausgerichtete Zuliefererparks unweit der Montagehallen. Der Schlüssel zur Risiko- und Schadensminimierung entlang der Supply Chain liegt in der strukturellen Vermeidung von Risiken, der konsequenten Vorbereitung sowie der intelligenten Kombination und Identifikation möglicher Maßnahmen.
Um die Robustheit der Lieferketten eines Kunden zu ermitteln, nehmen Koenig und seine Kollegen unter anderem die Produktionsdaten ins Visier. Wie viele Teile werden für wichtige Produkte benötigt, wo kommen sie her, wie wichtig oder austauschbar sind sie? Außerdem simulieren sie Störfälle mit modernen Prognosetools. „Wir lassen dann beispielsweise ein Lager ausfallen – und schauen, was passiert“, erläutert Koenig die Vorgehensweise.
„Die Ergebnisse solcher Simulationen quantifizieren die Auswirkung von Schäden im Materialfluss der Supply Chain. Ferner geben sie auch Aufschluss darüber, wie gut die Infrastruktur auf den simulierten Schaden vorbereitet ist und welche Auswirkungen auf die nachfolgenden Glieder der Supply Chain zu erwarten sind.“
Weshalb dann Bauteile in Risikogruppen eingeteilt und nach Wichtigkeit kategorisiert werden oder geprüft wird, inwiefern sich Kooperationen mit Partnern und Lieferanten anbieten, um Risiken gemeinsam zu begegnen. „Eventuell ist es auch sinnvoll, Produktionsmöglichkeiten dahingehend zu prüfen, ob man kritische Teile selbst fertigen kann. Oder ob sich eine Firmenfusion als Lösung anbietet.“
Die Maßnahmen zur Reduktion der Eintrittswahrscheinlichkeit und zur Schadensminimierung sind kundenspezifisch. io bringt dazu aus den verschiedenen Disziplinen Experten zusammen: Analytik zur Quantifizierung und gegebenenfalls Simulation, Logistik, Supply-Chain-Management und Produktions-Know-how für Prozess- und Materialfluss sowie Gebäudeexpertise, um auch infrastrukturelle Lösungen zu erarbeiten.
Diskussion, Kreativität und kritisches Nachfragen ist unabdingbar im Risikomanagement. Antworten finden Koenig und seine Kollegen ganz individuell – im direkten Austausch mit dem Kunden.
Erhalten Sie Einblicke in Best Practices, interessante Kunden und Projekte sowie branchenübergreifende Zukunftstrends.
Unteranderem: Jörg Ströbele, Geschäftsführer von LIEBHERR Logistics, im Gespräch
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