Neue Regelungen für öffentliche Aufträge
Die seit mehreren Jahren kriselnde deutsche Wirtschaft braucht hohe Investitionen, und zwar so schnell wie möglich. Die private Seite allein kann das nicht leisten. Der Staat ist gefragt. Noch vor dem Zusammentreten des neuen Bundestags wurde daher am 18. März 2025 ein kreditfinanzierter Sonderetat für Infrastruktur und Klimaschutz von 500 Mrd. Euro beschlossen. 100 Mrd. sind direkt für Länder und Kommunen vorgesehen, weitere 100 Mrd. für den Klimaschutz und den darauf ausgerichteten Umbau der Wirtschaft. Gleichzeitig wurde die sogenannte Schuldenbremse im Grundgesetz gelockert, um höhere Verteidigungsausgaben zu ermöglichen. Nach dem am 30. Juli vom Bundeskabinett verabschiedeten Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt 2026 soll der Verteidigungshaushalt im kommenden Jahr auf insgesamt rund 82,7 Mrd. Euro steigen. Zusammen mit den geplanten Ausgaben in Höhe von rund 24,5 Mrd. Euro aus dem Sondervermögen stehen der Bundeswehr damit bereits 2026 deutlich mehr als 100 Mrd. Euro zur Verfügung. Die Investition dieser Mittel erfolgt primär in Form öffentlicher Aufträge. Um die darauf bezogenen Vergabeprozesse zu beschleunigen und zu vereinfachen, gibt es inzwischen eine Reihe von Verwaltungsvorschriften und Gesetzesentwürfen. Darum geht es konkret:
Öffentliche Aufträge, die im Hinblick auf ihr Volumen auch für Unternehmen aus anderen EU-Mitgliedstaaten relevant sein können, unterliegen dem durch EU-Richtlinien geprägten europäischen Vergaberecht. Aufträge, die die von der EU definierten Schwellenwerte übersteigen, sind daher nach rechtlichen Regelungen zu vergeben, die der Ausgestaltung durch den nationalen Gesetzgeber weitgehend entzogen sind. Anders ist das bei Aufträgen, die diese Schwellenwerte nicht erreichen. Hier besteht auf Bundes- und Landesebene weitgehende Gestaltungsfreiheit. Je höher die Auftragswerte sind, desto komplizierter sind tendenziell auch die einzuhaltenden Vergabeverfahren.
Man unterscheidet im nationalen Vergaberecht zwischen dem nahezu unreglementierten Direktauftrag, der wenig reglementierten Freihändigen Vergabe, der deutlich formaler gestalteten Beschränkten Ausschreibung und der an umfangreiche Detailvorgaben gebundenen Öffentlichen Ausschreibung. Naturgemäß dauern Vergabeverfahren umso länger, je formalisierter und bürokratischer die dafür geltenden Regelungen sind. Durch deutliche Anhebung der für die jeweiligen Verfahrensarten geltenden Wertgrenzen ist inzwischen auf Ebene der Länder und Kommunen eine effektive, auf allen staatlichen Ebenen unmittelbar wirkende Beschleunigung erreicht worden. Exemplarisch lässt sich die Situation anhand des bayerischen Gesetzes über Wirtschafts- und Vergaberechtliche Vorschriften (BayWiVG) vom 1. Januar 2025 darstellen. Danach gelten für staatliche und kommunale Auftraggeber folgende Wertgrenzen:
Ähnliche Regelungen – allerdings mit teils abweichenden Werten – finden sich inzwischen auch in den meisten anderen Bundesländern. Soweit das noch nicht umgesetzt ist, stehen Maßnahmen kurz bevor. Diese Anpassungen ermöglichen den öffentlichen Auftraggebern auf Landesund kommunaler Ebene unterhalb der EUSchwellenwerte wesentlich vereinfachte und schnellere Verfahren.
Dr. Jörg Klingmann ist Partner der Kanzlei Schlatter. law in Heidelberg. Den Schwerpunkt seiner Tätigkeit bilden das Bau- und Immobilienrecht sowie das Vergaberecht. Die Klientel besteht überwiegend aus namhaften Unternehmen, Körperschaften des öffentlichen Rechts und internationalen Forschungseinrichtungen. Ausgeprägte Erfahrungen bestehen in der Gestaltung von Verträgen und der rechtlichen Beratung für große Bauprojekte.
Haben Sie Fragen? Rechtsanwalt Dr. Jörg Klingmann hilft gerne weiter:
Auf Bundesebene wurden im Bereich des Vergaberechts oberhalb der EU-Schwellenwerte umfangreiche gesetzgeberische Vorhaben in die Wege geleitet, die im Rahmen der Gestaltungsmöglichkeiten der Bundesrepublik bei der Umsetzung der einschlägigen EU-Richtlinien positive Effekte für die Volkswirtschaft entfalten sollen. Der vom Bundeswirtschaftsministerium am 24. Juli 2025 veröffentlichte Referentenentwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung der Vergabe öffentlicher Aufträge, kurz Vergabebeschleunigungsgesetz, sieht dafür mehrere Änderungen des GWB vor, darunter eine Flexibilisierung des Losgrundsatzes für bestimmte Großprojekte und die Abschaffung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde im Nachprüfungsverfahren.
Weitere wesentliche Anpassungen betreffen die Anhebung der Wertgrenzen für Direktvergaben durch eine flankierende Änderung der Bundeshaushaltsordnung auf 50.000 Euro. Vereinfachungen soll es ferner bei Eignungsnachweisen und Leistungsbeschreibungen geben. Neuregelungen bestehen schließlich in Form einer deutlichen Erleichterung von Auftragsvergaben durch öffentliche Auftraggeber untereinander und zur Integration strategischer Beschaffungsziele wie Klimafreundlichkeit.
Wer die Vergabepraxis in Deutschland kennt, weiß jedoch, die mit den vorgesehenen Änderungen verbundenen Effekte in der Praxis sehr überschaubar bleiben werden. Das betrifft insbesondere die zeitliche Ebene bei Offenen Verfahren und Verfahren mit Teilnahmewettbewerb. Die beabsichtigten Neuregelungen führen zwar zu einzelnen inhaltlichen Erleichterungen. Alle wesentlichen – und vor allem die zeitaufwendigen – formalen Verfahrensschritte bleiben indessen hinsichtlich der Abläufe und Fristen unverändert. Die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen des Wegfalls des Suspensiveffekts für sofortige Beschwerden gegen Entscheidungen der Vergabekammern bleiben schon angesichts der geringen Zahl der relevanten Beschwerdeverfahren im Vergleich zur Gesamtzahl öffentlicher Aufträge marginal. Im Übrigen bleibt aus grundrechtlich gesicherten Positionen gleichwohl die Möglichkeit des effektiven einstweiligen Rechtsschutzes. Weiterhin wird damit die öffentliche Hand bei der allgemeinen Beschaffung oberhalb der EU-Schwellenwerte um ein Vielfaches langsamer arbeiten, als das privaten, nicht an das Vergaberecht gebundenen Auftraggebern möglich ist.
Am 23. Juli 2025 hat die Bundesregierung ferner den Referentenentwurf für ein weiteres Gesetz zur Beschleunigung von Vergabeverfahren der Bundeswehr beschlossen. Hintergrund ist die seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und den wechselhaften transatlantischen Äußerungen zur Nato und den Beistandspflichten veränderte Sicherheitslage. Ergänzt wird der Entwurf durch bereits in Kraft gesetzte Verwaltungsvorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge zur Deckung der Bedarfe der Bundeswehr. Sie sehen Erleichterungen für die Vergabe öffentlicher Liefer-, Dienstleistungs- und Bauaufträge bei Beschaffungen der Bundeswehr durch Erhöhung der Auftragswertgrenzen vor Direktaufträge können für Dienstleistungs- und Lieferaufträge bis zu einem Auftragswert von derzeit 443.000 Euro vergeben werden. Für Bauleistungen sind Direktaufträge zur Deckung der Bedarfe der Bundeswehr bis zu einem Auftragswert von einer Million Euro möglich. Die Verpflichtung zur Losvergabe ist bis Ende 2030 suspendiert. Parallel werden auch im Verteidigungsbereich die Nachprüfungsverfahren beschleunigt. Die Vergabekammer des Bundes wird für alle Vergabeverfahren im Anwendungsbereich allein zuständig, was eine einheitliche Rechtsauslegung gewährleisten soll.
Der Entwurf ermöglicht schließlich weitreichende Beschränkungen für Unternehmen aus Drittstaaten. Auftraggeber können die Teilnahme an Vergabeverfahren jederzeit auf Bewerber oder Bieter beschränken, die in einem EU-Mitgliedstaat ansässig sind. Wirtschaftsteilnehmer aus Drittstaaten verlieren zudem ihre Antragsbefugnis in Nachprüfungsverfahren.
Aktuell liegt außerdem der „Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung der Verfügbarkeit von Wasserstoff und zur Änderung weiterer rechtlicher Rahmenbedingungen für den Wasserstoffhochlauf sowie zur Änderung weiterer energierechtlicher Vorschriften“ vor.
Der Gesetzesentwurf zielt darauf ab, den Aufbau der Wasserstoff-Infrastruktur in Deutschland zu beschleunigen. Dazu werden auch vergaberechtliche Regelungen modifiziert, um Prozesse zu optimieren und zeitlich zu reduzieren. Die wichtigsten vergaberechtlichen Inhalte des Gesetzes sind die Beschleunigung der Vergabe- und Nachprüfungsverfahren, indem Entscheidungen nach Aktenlage und ohne mündliche Verhandlung getroffen werden können. Für die vom Prinzip der Losaufteilung abweichende Zusammenfassung unterschiedlicher Leistungen, also beispielsweise die Vergabe an Generalunternehmer, genügt, dass dies wirtschaftliche, technische oder zeitliche Gründe „rechtfertigen“. Von dem Grundsatz, dass schwere Vergaberechtsverstöße zu einer Nichtigkeit der abgeschlossenen Verträge führen, sind Ausnahmen zulässig. Darüber hinaus gibt es auch hier Einschränkungen bei den Rechtsschutzmöglichkeiten zur Vermeidung überlanger Verfahren und der dadurch bedingten Hinauszögerung der Zuschlagserteilung.
Am 6. August 2025 beschloss das Bundeskabinett schließlich den „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie durch die Sicherung von Tariftreue bei der Vergabe öffentlicher Aufträge des Bundes“, den Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) und Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) gemeinsam vorgelegt hatten.
Unternehmen in Deutschland sollen danach bei der Ausführung öffentlicher Aufträge ab einem Wert von 50.000 Euro künftig Löhne in Tarifhöhe zahlen – auch wenn sie nicht tarifgebunden sind. So sollen die Nachteile tarifgebundener Unternehmen im Wettbewerb um öffentliche Aufträge und Konzessionen des Bundes beseitigt werden. Darüber hinaus werden Unternehmen, die sich um entsprechende Aufträge bewerben wollen, verpflichtet, auch weitere tarifvertragliche Mindestarbeitsbedingungen der jeweiligen Branche einzuhalten – etwa bei Höchstarbeitszeiten und Pausen. Das Gesetz soll nach Angaben der Bundesregierung im Bundestag kurzfristig beraten und noch 2025 verabschiedet werden. Zur Vereinfachung und Beschleunigung führen diese Regelungen jedoch offenkundig nicht.
Erhalten Sie Einblicke in Best Practices, interessante Kunden und Projekte sowie branchenübergreifende Zukunftstrends.
Unteranderem: Jörg Ströbele, Geschäftsführer von LIEBHERR Logistics, im Gespräch
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