Steuerliche und handelsbilanzielle Aspekte von Softwareprojekten
Ein Gastbeitrag von Dr. Harald Riedel, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, über handelsbilanzielle Aspekte komplexer Softwaresysteme, behauptete Nutzungsdauern und ein bemerkenswertes Wahlrecht.
Bei der Einführung von komplexeren Softwaresystemen wie ERP-Systemen fallen neben den „eigentlichen“ Aufwendungen für die Software regelmäßig in erheblichen Umfang weitere Aufwendungen in Form von Planungskosten, Implementierungskosten, Schulungskosten, Wartungskosten, Kosten der Datenmigration etc. an. Aus handelsbilanzieller und auch aus steuerlicher Sicht stellt sich hierbei die Frage, ob solche Aufwendungen sofort als Aufwand zu erfassen sind oder ob diese zu aktivieren und über die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer abzuschreiben sind. Nachfolgend sollen zunächst die handelsbilanziellen Aspekte der Thematik dargestellt und sodann der Blick auf das Steuerrecht gerichtet werden.
Der bilanzierende Kaufmann hat die für sein Unternehmen erworbenen Vermögensgegenstände in seiner (Handels-)Bilanz zu aktivieren und über die voraussichtliche Nutzunsgdauer abzuschreiben. Zu den zu aktivierenden Anschaffungskosten eines Vermögensgegenstandes zählen dabei alle dem Vermögensgegenstand einzeln zuzuordnenden Aufwendungen, die der Kaufmann leistet, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben und ihn in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen.
Für die bilanzielle Behandlung entgeltlich erworbener Software beim Softwareanwender spielt in der Praxis die Stellungnahme des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW), IDW RS HFA 11, eine entscheidende Rolle. Bei der Klassifizierung von Software für bilanzielle Zwecke ist dabei zunächst zwischen Firmware (z. B. BIOS), Systemsoftware und Anwendungssoftware (Oberbegriff für alle Programme, die die Datenverarbeitungsaufgaben des Anwenders lösen) zu unterscheiden. Bei der Anwendungssoftware ist nochmals zwischen Individualsoftware, die ausschließlich für die Bedürfnisse eines bestimmten Anwenders entwickelt wird, und Standardsoftware, die für den Einsatz bei einer Vielzahl von Anwendern konzipiert wird, zu differenzieren.
Für die vorgenannte Frage, sofort abzugsfähiger Aufwand oder zu aktivierender Vermögensgegenstand, ist die Unterscheidung wesentlich, ob Software angeschafft (Anschaffungsvorgang) oder selbst hergestellt wird (Herstellungsvorgang). Liegt ein Anschaffungsvorgang vor, ist die Software mit ihren Anschaffungskosten, u. a. den Kosten zur Herstellung der Betriebsbereitschaft, zwingend zu aktivieren und über die Nutzungsdauer abzuschreiben.
Bei einem Herstellungsvorgang besteht handelsrechtlich grundsätzlich ein Wahlrecht, ob man die Kosten aktiviert und über die Nutzungsdauer abschreibt oder sofort als Aufwand erfasst. Steuerlich besteht bei einem Herstellungsvorgang ein Aktivierungsverbot, das heißt, hier sind die betreffenden Aufwendungen sofort abziehbarer Aufwand.
Beim Kauf von Standardsoftware (zum Beispiel von SAP) handelt es sich grundsätzlich um einen aktivierungspflichtigen Anschaffungsvorgang. Daran ändert sich auch nichts, wenn die Standardsoftware noch an die betrieblichen Erfordernisse angepasst werden muss. Wird die Software jedoch so umfangreich modifiziert, dass von einer Wesensänderung der Standardsoftware auszugehen ist beziehungsweise die Standardsoftware „untergeht“, liegt die Herstellung eines neuen Vermögensgegenstandes „Individualsoftware“ vor. Ob ein neuer Vermögensgegenstand entsteht, ist in erster Linie nach der Art der vor und nach Implementierung und Anpassung vorhandenen Funktionen der Software zu beurteilen.
Zudem müsste dann für die Frage, ob dieser neue Vermögensgegenstand „angeschafft“ oder „hergestellt“ wird, noch danach differenziert werden, wer das Herstellungsrisiko trägt. Wie bereits aus dieser Differenzierung ersichtlich wird, kommt es bei der Beurteilung von Softwareprojekten aus bilanzieller Sicht regelmäßig auf die Umstände des Einzelfalls an.
Aufwendungen für das Customizing der Software – das heißt die Parametrisierung und weitere Maßnahmen zur Einbettung der Software in das konkrete betriebliche Umfeld, wie beispielsweise Beratungshonorare im Zusammenhang mit dem Einfahren der Programme, Programm- und Systemtests, Modifizierung und Zusammenfügung einzelner Programme, Programmierung oder Einrichtung von Schnittstellen, Installation der Software auf den Computern der betroffenen Mitarbeiter, sind als Teil der Anschaffungskosten zu aktivieren, wenn sie der Herstellung der Betriebsbereitschaft dienen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Maßnahmen zeitlich unmittelbar mit dem Anschaffungsvorgang zusammenfallen oder diesem nachgelagert sind. Schulungsmaßnahmen der Anwender hingegen sind nicht der Herstellung der Betriebsbereitschaft zuzuordnen und damit nicht zu aktivieren.
Dagegen dürfen Aufwendungen, die vor der Anschaffung der Software anfallen, für Aktivitäten zum Erkennen und Bewerten von Beschaffungsalternativen nicht aktiviert werden. Hierzu gehören insbesondere vor Einführung der Software anfallende Aufwendungen im Zusammenhang mit der allgemeinen Organisationsberatung, Analyse und Optimierung der Geschäftsprozesse, Entwicklung von Grobkonzepten etc.
Dr. Harald Riedel ist Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Gründungspartner der PKF Riedel Appel Hornig GmbH und kann auf mehr als 30 Jahre Erfahrung in der Wirtschaftsprüfung, Steuer- sowie Unternehmensberatung zurückblicken.
Er ist Spezialist für die Prüfung und Beratung von Produktions-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen, konzipiert Steuermodelle, führt Unternehmensbewertungen durch und berät bei Strukturmaßnahmen. Dr. Riedel ist Mitglied der Geschäftsleitung der PKF Deutschland GmbH und Mitglied in der Steuerberater- und Wirtschaftsprüferkammer.
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Sind die Kosten für das Softwareprojekt zu aktivieren, ist im nächsten Schritt die Abschreibungsdauer zu schätzen, in dem die Software voraussichtlich genutzt werden kann (sogenannte Nutzungsdauer). Grundsätzlich sind hierzu in der Praxis bisher die steuerlichen Abschreibungstabellen der Finanzverwaltung herangezogen worden.
In der Steuerwelt wurde die Behandlung von Softwareprojekten in den letzten zwei Jahren durch die Finanzverwaltung durchgreifend neu „geregelt“. Die Finanzverwaltung hat hierzu in mehreren Verlautbarungen (sogenannte BMF-Schreiben) festgelegt, dass für „Betriebs- und Anwendersoftware“ eine betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer von einem Jahr zugrunde gelegt werden kann. Faktisch führt diese Regelung dazu, dass die Aufwendungen für die betreffende Softwareanschaffung dann sofort in voller Höhe steuerlich im Jahr der Anschaffung geltend gemacht werden können. Die Finanzverwaltung führt explizit aus, dass der Steuerpflichtige von dieser Annahme auch abweichen kann. Er hat mithin faktisch ein Wahlrecht, auch wenn die Finanzverwaltung im selben Atemzug ein steuerliches Wahlrecht strikt verneint und nach ihrem Bekunden hier im Übrigen auch keine Sofortabschreibung, keine neue Abschreibungsmethode und keine besondere Form der Abschreibung vorliegen soll.
Zur Betriebs- und Anwendersoftware im vorstehenden Sinne gehören nach Auffassung der Finanzverwaltung u.a. neben Standardanwendungen auch die auf den individuellen Nutzer abgestimmten Anwendungen wie ERP-Software, Software für Warenwirtschaftssysteme oder sonstige Anwendungssoftware zur Unternehmensverwaltung oder Prozesssteuerung.
Während die Finanzverwaltung bei der begünstigten Computerhardware eine sehr detaillierte Definition vornimmt, haben die Erläuterungen zur begünstigten Software nur einen geringen Umfang. Eine richtige Definition, was sie darunter verstanden wissen will (und was eben nicht), liefert sie auch nicht. Hieraus wird in der steuerlichen Fachliteratur geschlossen, dass der Anwendungsbereich hinsichtlich der erfassten Software keinen wesentlichen Beschränkungen unterliegen soll – und demzufolge wohl weit zu fassen ist.
Man kann an dieser Stelle die Auffassung der Finanzverwaltung kritisieren. Etwa inwiefern der Softwareanwender das Wahlrecht hat, eine einjährige Nutzungsdauer zu unterstellen und dabei faktisch auch noch wählen kann (O-Ton der Finanzverwaltung: „Es wird nicht beanstandet …“), die Abschreibung in voller Höhe im Wirtschaftsjahr der Anschaffung vorzunehmen. Man kann auch die Frage stellen, wie realitätsnah die Einschätzung ist, dass die angeschaffte Software nur eine Nutzungsdauer von einem Jahr hat und entsprechend nur ein Jahr lang genutzt wird (woraufhin im Folgejahr dann wieder neue Software angeschafft wird).
Schließlich muss man sich gerade bei großen und aufwendigen Softwareprojekten, bei denen allein die Implementierung enorme Kosten verschlingt und teilweise länger dauert als die mögliche Nutzungsdauer von einem Jahr, fragen, ob dies den tatsächlichen Verhältnissen auch nur annähernd entsprechen kann. Ungeachtet dessen kann sich der Steuerpflichtige aber gerade darüber freuen, dass ihm die Möglichkeit eröffnet wird, (extreme) Steuergestaltungen zu verwirklichen. Er kann je nach steuerlichem Belastungsbedarf eine lange (realistischere) oder eine kurze Nutzungsdauer heranziehen.
Hintergrund dieser Regelung der Finanzverwaltung ist dem Vernehmen nach wohl, dass diese faktische Sofortabschreibung in einer Videokonferenz zwischen der ehemaligen Bundeskanzlerin und den Ministerpräsidenten der Länder zur Stimulierung der Wirtschaft in der Corona-Pandemie ausverhandelt wurde. Die Finanzverwaltung hatte daraufhin die undankbare Aufgabe, diesen politischen Beschluss auf ein fachliches Fundament zu stellen.
Da diese neue Sichtweise der Finanzverwaltung rechtlich auf relativ wackligen Füßen steht und die Gerichte an diese Verwaltungsmeinung nicht gebunden sind, sollte hier Streit mit der Finanzverwaltung tunlichst vermieden werden. Beispielsweise sollte man der Forderung der Finanzverwaltung, dass bei Anwendung dieser „Sofortabschreibung“ die Software dennoch in das Inventarverzeichnis (Bestandsverzeichnis) aufzunehmen ist, einfach nachkommen, ohne die Logik dahinter allzu gründlich zu hinterfragen. Denn Gerichte sind nicht an Sichtweisen der Finanzverwaltung gebunden, sondern regelmäßig an das Gesetz.
Um zum Schluss wieder die Brücke zur Handelsbilanz zu schlagen: Aus dieser Thematik resultierende Abweichungen zwischen Handels- und Steuerbilanz sind durch Bildung (in der Regel passiver) latenter Steuerposten in der Handelsbilanz Rechnung zu tragen, was regelmäßig die betreffenden Abweichungen in ihrer Erfolgswirkung vermindert.