Wird Nachhaltigkeit im Baurecht verankert?

Angesichts der Herausforderungen des Klimawandels stehen Nachhaltigkeit und Umweltschutz im Zentrum gesellschaftlicher Diskussionen. Sie betreffen auch die Bauindustrie – und das Aufgabengebiet der (General-)Planer:

Der Trend zum Upcycling ×

Ein anschauliches Beispiel dafür wurde in der jüngeren Vergangenheit im australischen Sydney geschaffen. In den 1970er Jahren entstand im zentralen Geschäftsviertel der Millionenstadt mit dem AMP Centre ein 46-stöckiges Hochhaus. Knapp 50 Jahre später sollte ein neues, modernes Gebäude her. Nach einer Bauphase zwischen 2018 und 2021 ragt heute anstelle des AMP Centres der Quay Quarter Tower in den Himmel. Gegenüber dem Vorgängergebäude wurde die Nutzfläche verdoppelt und sechs Stockwerke wurden hinzugefügt. So weit, so unspektakulär. Das ändert sich aber bei einem genaueren Blick auf die Bauweise: Nur etwa ein Drittel des AMP Centre wurde abgerissen, rund 95 Prozent des Gebäudekerns blieben erhalten. Auf dieser Grundlage wurde der Quay Quarter Tower errichtet, wobei „angebaut“ es wohl besser treffen dürfte. Das alte AMP Centre macht heute etwa 75 Prozent des Quay Quarter Towers aus, der innen wie außen als Neubau erscheint. Noch beachtlicher wird es, wenn man sich die schwindelerregende Höhe der Einsparungen anschaut, die möglich wurden, weil anstatt neu gebaut wurde: Baukosten in Höhe von umgerechnet 80 Millionen Euro (24 Prozent der Gesamtbaukosten), 12.000 Tonnen CO2 und eine Bauzeitreduzierung um neun bis zwölf Monate. Diese Leistung wurde zurecht mit dem renommierten Internationalen Hochhauspreis 2022/23 ausgezeichnet.

Nachhaltiges Bauen als ideal ×

Angesichts dieser Zahlen dürfte es kaum verwundern, dass das in Sydney verwirklichte Konzept derzeit Nacheiferer auf der ganzen Welt findet. Nachhaltiges Bauen etabliert sich somit immer mehr zum „Idealtypus“ unter den Bauweisen. Im Fokus stehen Umweltverträglichkeit, soziale Verantwortung und Ressourceneffizienz. Ein Schlüsselelement ist die Integration umweltfreundlicher Praktiken in den Bauprozess. Diese äußert sich vielschichtig, etwa durch die Reduktion von Abfall und Emissionen, den Einsatz erneuerbarer Energien während des Bauprozesses oder die Verwendung von Baumaterialien, die bereits nachhaltig sind.

Das Baurecht im Fokus ×

Auf gesamtgesellschaftliche Diskussionen und Entwicklungen folgen politische Maßnahmen. Das Bauwesen bildet hier keine Ausnahme. Bildlich ausgedrückt benötigt die Straße des nachhaltigen Bauens „Leitplanken“, damit sie von allen Akteuren zügig und zugleich sicher befahren werden kann. An dieser Stelle rückt das Baurecht in den Fokus. Damit es seiner Steuerfunktion gerecht werden kann, ist der Gesetzgeber aufgefordert, es mit Nachhaltigkeits- und Klimaschutzstandards auszufüllen. Dabei ist Kreativität gefragt. Denn es steht eine ganze Palette von Möglichkeiten zur Verfügung, um nachhaltiges Bauen zu fördern. Sinnvolle Anreize, die Bereitstellung attraktiver Finanzierungsmöglichkeiten oder die Schaffung besonderer Zertifizierungssysteme sind hier nur ein paar Beispiele.

Bisher nur wenige "Leitplanken" ×

Von diesen Möglichkeiten wurde gesetzgeberisch bislang nur sehr zaghaft Gebrauch gemacht. Um im Bild zu bleiben: Wer sich auf den Weg des nachhaltigen Bauens begibt, bewegt sich oftmals auf ungesicherter Fährte. Jüngere Änderungen in den 16 Landesbauordnungen der Länder zielten vor allem auf die Digitalisierung ab. Zwar ist die in den Ländern teils sehr unterschiedlich ausgestaltete „Solarpflicht“ als Maßnahme für mehr Nachhaltigkeit im Bauwesen hervorzuheben. Das Beispiel aus Sydney verdeutlicht aber, dass dies höchstens ein erster Schritt sein dürfte und derzeit viel Potenzial ungenutzt bleibt. Auch der Bundesgesetzgeber hatte sich mit der BauGB-Klimaschutznovelle von 2011 Großes vorgenommen. Letztendlich hat er aber nur vereinzelte Vorschriften und Vorgaben zum Klimaschutz ergänzt. Eine großflächig angelegte und an den Bedürfnissen nachhaltigen Bauens orientierte Neuordnung des BauGB blieb aus. Auf Konkreteres konnte sich immerhin das EU-Parlament im Dezember 2023 einigen. So haben sich alle EU-Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, durch nationale Regelungen bis 2050 die „Klimaneutralität“ ihres Gebäudebestands zu erreichen. Obwohl die ersten regulatorischen Leitplanken also gesetzt sind, bleibt offen, welche konkreten Gesetzesänderungen folgen werden, um die anvisierten Ziele zu erreichen.

Deutsche "Umbauordnung" und Abrissmoratorium ×

Dabei gibt es hierzulande genügend Raum für Erfolgsgeschichten. Derzeit entfallen circa 30 Prozent des bundesweiten CO2-Ausstoßes auf den Gebäudesektor und circa 55 Prozent des gesamten Abfalls entsteht beim Bau und dem Abbruch von Immobilien. In der Fachwelt mehren sich daher Stimmen, die die Prinzipien der Errichtung des Quay Quarter Towers auch in deutschen Gesetzen verankert sehen möchten. So forderte die Bundesarchitektenkammer unlängst eine grundlegende Reform des aktuell vordergründig auf die Planung, Errichtung, Nutzung und den Abriss von Gebäuden ausgelegten deutschen Baurechts. Im Zentrum soll dabei die Weiterentwicklung der Musterbauordnung, an der sich die 16 Landesbauordnungen der Länder orientieren, zu einer „Umbauordnung“ stehen. Noch weiter reicht eine Forderung, die Architektenkammern, Umweltverbände und Privatpersonen in einem offenen Brief an Bundesbauministerin Klara Geywitz gerichtet haben: ein „Abrissmoratorium“ soll die rechtlichen Voraussetzungen schaffen, damit Abriss und Neubau durch Erhalt, Sanierung, Um- und Weiterbau des Gebäudebestands ersetzt werden. Auch hierfür wird die Weiterentwicklung der Bau- zur Umbauordnung als zentral angesehen.

Die Rolle der Generalplaner ×

Aus Sicht der Baubeteiligten bedeutet nachhaltiges Bauen nicht nur, den eigentlichen Bauprozess umweltschonend zu gestalten, wie etwa durch Einsatz von Materialien und Technologien, die ökologische und ökonomische Effizienz gewährleisten, sondern auch, den Fokus bereits in der Planungsphase auf die spätere Gebäudenutzung zu richten. Generalplanern kommt dabei wie so oft eine entscheidende Stellung zu. Ihre Expertise und Fähigkeit, komplexe Bauprojekte zu leiten und zu koordinieren, ermöglicht es, auch Großprojekte nachhaltig zu gestalten. So bietet sich etwa bei bestehenden Lagerhallen oder Logistikzentren die Möglichkeit, im Sinne der Nachhaltigkeit umzuplanen, anstatt abzureißen und neu zu bauen. Mit kreativen Lösungen wie Aufstockung, Anbau oder Umnutzung von Gebäudeteilen lässt sich der Ressourcenverbrauch deutlich reduzieren. Durch die Wiederverwendung von Bauteilen, behutsame Sanierung und Verbesserung der Energiebilanz kann der ökologische Fußabdruck minimiert werden. 

Eine Win-win-Situation ×

Wie bei jeder Veränderung sind auch auf dem Weg zu einer nachhaltigen Bauindustrie viele Hürden zu nehmen. Sicherlich zählen hierzu vor allem die höheren Kosten für den Einsatz nachhaltiger Baumaterialien und Technologien. Sollte das Modell des Quay Quarter Towers Schule machen und weitere Leuchtturmprojekte folgen, besteht aber kein vernünftiger Zweifel daran, dass die Entscheidung, nachhaltig zu bauen, künftig kein Selbstzweck mehr sein muss, sondern auf valide wirtschaftliche Erwägungen gestützt werden kann. Vor diesem Hintergrund dürfte auch der nationale Gesetzgeber kaum umhinkommen, in Zukunft verbindliche Vorgaben hin zu mehr Nachhaltigkeit am Bau zu machen. Es bleibt zu hoffen, dass dies mit dem nötigen Augenmaß geschieht, so dass am Ende eine Win-win-Situation für alle Beteiligten entsteht: Bauherren, Klima, Umwelt und Gesellschaft im Ganzen.

Georg Willem Büchler

Georg Willem Büchler studierte Jura und Wirtschaftswissenschaften in Bayreuth. Er war Partner der Kanzlei Schlatter und beriet als Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht Bauunternehmen, Bauträger sowie Architekten und Ingenieure in allen Rechtsfragen rund um die Immobilie. Die Beratung von Bauherren und das gewerbliche Mietrecht bildeten weitere Schwerpunkte seiner Tätigkeit. Als „digital native“ war er zudem regelmäßig im IT-Recht tätig.

In den 1970ern wurde in Sydney das AMP Centre errichtet.

Heute ragt anstelle des AMP Centres der Quay Quarter Tower in den Himmel.